Mirko nix deitsch

An der einen Seite grenzt mein Grundstück an eine Reihe Schrebergärten, die dahinterstehenden Genossenschaftsbauten zugeteilt sind. Es sind vorwiegend alte Menschen, die dort ein wenig in der Sonne sitzen, ein paar Blumen züchten und Neuigkeiten austauschen. Die Gegend ist sozialdemokratisches Kernland, hier wird SPÖ gewählt. Vor einigen Jahren vielleicht auch protesthalber einmal das vielfarbige blaue, manchmal braune und dann auch wieder orange Gesindel, das dann einige Zeit mitregieren durfte. Jedenfalls wurden hier bisher keine Wohnungen an Asylanten, Imigranten oder auch nur Menschen mit irgendeinem bemerkbaren Migrationshintergrund vergeben - man könnte ja Wähler verlieren. Dann schon lieber ein paar Ghettos am Stadtrand entstehen lassen.
Die auffälligsten fremdländischen Gestalten waren in der Vergangenheit interessanter nur ein paar Thaifrauen, die sich die schmerbäuchigen, dicken, Goldkettchenträger mit ihrer Bierfahne im fernen Land organisiert hatten, da sie am hiesigen Heiratsmarkt mit ihrem fehlenden Charme, ihrer beschränkten Anmut und nur schwer erkennbaren Liebenswürdigkeit natürlich nur mit wenig Erfolg teilnahmen.
Genug davon: es ist nicht der feinste Bezirk, nicht die erste Adresse in dieser Stadt, wo ich wohne. Die Stadt hat einen Ausländeranteil von fast einem Fünftel der Bewohnerzahl, da läßt es sich nicht ganz vermeiden, auch die reinrassigen Gebiete etwas aufzumischen.
Kurz: der erste Jugo ist da. "Jugo" ist hierzulande noch immer die Sammelbezeichnung für alle, die als Gastarbeiter oder Flüchtlinge aus dem alten Jugoslawien zugezogen sind - man unterscheidet kaum, welcher Nationalität einer zugehört. Alle von "da unten" - kaum einer hat jemals hier begriffen, warum sie sich dort jahrelang die Köpfe blutig geschlagen haben. Bestenfalls werden noch Albaner und Slowenen ein wenig gesondert gesehen, aber der Rest: alles wie gehabt, eben "Jugo".
Interessant ist allerdings, dass der Neue von den Alteingesessenen durchaus freundlich aufgenommen wird. Hätte ich denen gar nicht zugetraut, Toleranz und Neugier. Ein paar alte Weiber, die hinter meiner Thujenhecke tagein tagaus nur über Bekannte, weniger Bekannte und die vermeintlich triste Gegenwart herziehen, gebärden sich von mir völlig unerwartet als freundlich aufgeschlossen ob der neuen Mitbewohner - ein älteres Ehepaar aus Serbien. Sie erzählen sich alte Geschichten, tauschen Rezepte mit Ihnen und vergessen fast, dass ihre eigenliche Lebensaufgabe ja darin besteht, andere "auszurichten". Und sie bestaunen täglich den neu Angelegten Gemüsegarten mit Wohlgefallen.
Das habe ich denen wirklich nicht zugetraut. Gut, es sind angegepasste, etwas radebrechend deutschsprechende Zuzöglinge, keine finster dreinblickenden dunklen Gstalten oder unter bunten Kopftüchern verborgene Menschen - aber immerhin.
Sogar sprachlich haben sich die Nachbarinnen den Neuen schon angepasst. "Was-du-kochen-heute?" wird die Frau gefragt, obwohl sie durchaus die Erkundigung danach in gebräuchlichem Deutsch verstünde. Sogar "Woskochstnheit?" - die halb hinuntergeschluckte Dialektform - würde sie auch beantworten können. Wird nicht versucht.
Nein, man bleibt beim "Polierdeutsch": "Mirko, da nimmst Schaufel und machst Loch zu".
Es ist wirklich kein Wunder, dass die Zugezogenen in dieser Republik auch nach Jahrzehnten kein besseres Deutsch sprechen gelernt haben - WIR haben das gründlich verhindert.
creature - 17. Jun, 19:21

"ihrem fehlenden Charme, ihrer beschränkten Anmut und nur schwer erkennbaren Liebenswürdigkeit"
gut gesagt, ich fuhr gestern mit dem taxi und der fahrer war ein flüchtling aus dem irak.
neugierig wie ich bin hab ich ihn ausgefragt über das leben mit hussein und das leben mit der besatzung, nun weiß ich welch ein unterschied mit dem was in den zeitungen steht, im tv zu sehen und kommentiert wird und der bericht eines menschen der alles erlebt hat, dieser mensch war auch soetwas von liebenswürdig, kultiviert und sanft das es noch immer in mir nachklingt.
es ist einfach schlimm was die politik und ihre erklärer mit dieser welt machen, zum schreien ungerecht, dafür gibts keine worte und keine entschuldigung von irgendwem!
und auch kenne ich einige schwarze, manche davon hatten nicht einmal eine schule besucht, sie sprechen gut englisch und auch etwas deutsch und das mit einer derartigen wohlklingenden stimme, sanft, fein, ihre bewegungen sind elegant das ich gerne zusehe und diese menschen werden von denen wie der oben beschriebene typ gar nicht gesehen, da ist ein filter dazwischen voller negativität, so als wäre unsere kultur das gelbe vom ei, mitnichten, kann ich nur sagen!

tschapperl - 18. Jun, 16:44

Vielleicht kam das zuwenig im Text heraus, der "Typ" ist schwer in Ordnung - nur der Umgang mit im ist halt ein wenig bizarr.
Chinaski - 19. Jun, 00:04

Das ist Migration, das ist Einwanderung. Es ist nirgends und zu keiner Zeit anders verlaufen als hier. Generationen von Einwanderern werden sich demütigen lassen in der Hoffnung dass ihre Nachfahren es schritt für schritt etwas leichter haben. Ich bin selber ein Perser der als Kind nach Deutschland kam und blieb. Eine Tatsache die ich realisiert habe ist: Keiner auf dieser Welt wartet auf den Einwanderer. Wenn er kommt, muss er sich durchbeissen. Leider hat der Mensch sich noch nicht soweit entwickelt um es verstehen und akzeptieren zu können dass die Grenzen nur auf der Landkarte bestehen. Früher sind die Deutschen ausgewandert und wurden wo anders gedemütigt bis sie sich festgebissen haben, heute sind die Verhältnisse halt so dass viele Menschen ihr Heil in Deutschland suchen. Ein- und Auswanderung, das ist nichts als ein Teil Menschheitsgeschichte.

tschapperl - 19. Jun, 22:10

Die Verantwortlichkeit für gelungene Migration - und ich glaube nach wie an diese Möglichkeit - liegt bei beiden Seiten - abgedroschene Phrase, aber wahr. Du hast recht: bequem machen kann es sich der Migrant nicht. Ich glaube nicht, dass ich, gesetzt den Fall ich müsste auswandern, nach einigen Jahren mich immer noch nicht halbwegs perfekt artikulieren könnte: das muss man einfach lernen - und sei es Finnisch oder Mandarin. Nur ist es leider hierzulande so, dass unsere ostanatolischen Zuzöglinge nicht einmal eine Freude damit haben, wenn das Arbeitsamt ihre vermummten Frauchen zum Deutschkurs schickt. Warum ist klar, nur schauen wir zu - oder besser gesagt weg. Beruflich muss ich diese Dinge täglich sehen und miterleben ohne sie ändern zu können. Das macht traurig.
Nebenbei: allen Persern, die ich kenne, ist der sprachliche und gesellschaftliche Anschluß sehr gut gelungen. Natürlich kenne ich aus meinem sozialen Umfeld heraus nur eine Handvoll und mir fehlt der große Überblick über alle Schichten. Aber dann denke ich doch, dass sich diese Dinge mit einem Hintergrund einer jahrtausende schon blühenden Hochkultur besser angehen lassen. Gerade hierzulande, wo man noch vor ein paar Jahrhunderten durch Wälder und Sümpfe stapfte.
la-mamma - 23. Jun, 20:26

super geschrieben, gut beobachtet ...

eine bewohnerin der brigittenau aus überzeugung ...
unsere hausmeister, und das sind wirkliche und wahre wiener hausmeister, können bei bedarf auch schon den vortrag "es heißt nicht neger, es heißt ...." rezitieren. integration der auslösenden familie im haus ist weitgehend gelungen, würde ich sagen;-)

tschapperl - 29. Jun, 20:22

Da keimt wirklich Hoffnung auf.

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